Für "FOCUS Online" schreibt Prof. Dr. Fricke regelmäßig über aktuelle mediale Ereignisse. Im NSU-Prozess haben die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe (Sturm, Stahl und Heer) ihre Entpflichtung beantragt. Aber geht das so einfach? Prof. Dr. Fricke erläutert in dem Beitrag die rechtlichen Grundlagen und Folgen.
Den Artikel bei FOCUS Online finden Sie hier und im Folgenden:
Die Rechtsanwälte Heer, Stahl und Sturm als Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe wollen ihre Pflicht nicht mehr erfüllen. Sie haben ihre Entpflichtung beantragt. Nach 219 Verhandlungstagen vor dem Oberlandesgericht in München scheinen Animositäten zwischen den „Altpflichtverteidigern“ und dem „Neupflichtverteidiger“ Matthias Grasel diesen Antrag zu tragen. Mit dem Einen redet die Angeklagte, die anderen Verteidiger werden derzeit von ihr ignoriert. Das reicht nach der Rechtsprechung für eine Entpflichtung von Pflichtverteidigern nicht aus.
Die drei Verteidiger Beate Zschäpes, Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer haben für ihren Antrag keine substantielle Begründung aufgrund ihrer anwaltlichen Schweigepflicht abgeben können, um die Entpflichtungsgründe überhaupt „glaubhaft“ zu machen, nämlich eine „gravierende Störung des Vertrauensverhältnisses“ zwischen Anwälten und Angeklagter. Dazu müssten aber konkrete Umstände vorgetragen werden, „aus denen sich eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ergibt, so dass zu besorgen ist, dass die Pflichtverteidigung nicht (mehr), sachgerecht durchgeführt werden kann“, so der Bundesgerichtshof schon 1997.
Zudem muss das Oberlandesgericht München aber bei der Gesamtwürdigung berücksichtigen, dass die drei Pflichtverteidiger, die um ihre Entpflichtung gebeten haben, sowie zusätzlich die Niederlegung des Mandats ankündigten, das seit 219 Tagen laufende Verfahren damit nicht pflichtwidrig sabotieren und so zu einem Abbruch des Prozesses vor dem Oberlandesgericht München sorgen dürfen.
Die Bestellung zum Pflichtverteidiger durch das Oberlandesgericht München am Anfang des Prozesses hat eine konkrete „öffentlich-rechtliche Pflicht, bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens mitzuwirken“, entstehen lassen. Dass Beate Zschäpe einen vierten Pflichtverteidiger bekommen hat, der sich augenblicklich erst einmal in das Mandat einarbeitet und mit dem sie redet, stellt keine evidente „Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidigung und Angeklagter“ dar. Die bislang schweigende Angeklagte kann auch durch schweigende Pflichtverteidiger vertreten werden. Der Pflichtverteidiger mit dem sie redet, kann das „Alternativprogramm“ als Verteidiger verkörpern.
Der 1972 verstorbene berühmte Strafverteidiger Prof. Hans Dahs hat in seinem „Handbuch des Strafverteidigers“ ausgeführt, der „Strafverteidiger hat eine Verurteilung mit allen Mitteln sogar dann zu verhindern, wenn sie zwar nach dem Strafgesetz richtig, nach der Strafprozessordnung unzulässig wäre. Das verlangt das Recht von ihm“. Insoweit können die drei Pflichtverteidiger Heer, Sturm und Stahl auf ihre Art und Weise weitermachen, ebenso der „Neue“ Rechtsanwalt Matthias Grasel. Das Verteidigen ist eine Pflicht für jeden Anwalt und Gerhard Mauz, der bedeutendste Gerichtsberichterstatter der alten Bundesrepublik, hat über die Verteidigung und Pflichtverteidigung im Baader-Meinhof-Prozess in Stuttgart-Stammheim 1977 geschrieben: „Das verlangt das Recht von ihm.“ Gemeint war der Verteidiger. Auch Pflichtverteidiger sind Verteidiger.
Jetzt schon Revisionsgründe vorzubereiten, um das Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof mit Munition anzufüllen, ist daher legitim. An den Erfolg dieser taktischen Finessen der drei Altverteidiger, mit einem Ablösungsantrag die Revision erfolgreich zu betreiben, vermag man derzeit nicht zu glauben.