Im Spannungsverhältnis der Bedeutung von Meinungsfreiheit und Anonymität und der Notwendigkeit einer rechtlichen Regulierung im Online-Raum zeigen sich sowohl die Zusammenhänge und Verbindungen als auch die Differenzen zwischen (Medien-)Ethik und Recht. Wie hängt beides zusammen? Und welche unterschiedlichen Perspektiven kann man auf die beiden Konstrukte haben? Der Journalistik-Professor und Medienethik-Experte Dr. Klaus-Dieter Altmeppen und Prof. Dr. Ernst Fricke, Professor für Medienrecht und Gerichtsberichterstattung diskutieren für den Online-Studienlehrgang "Ethik der digitalen Kommunikation" der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg die oben genannte Fragen und zeigen in ihrem Gespräch eine Reihe von Herausforderungen auf, die mit den digitalen Medien sowohl für die Ethik als auch für die Rechtsprechung einhergehen.

Themengebiet: Ethik & Recht

Klaus-Dieter-Altmeppen (KA): Herr Fricke, im schönen Hofgarten in Eichstätt aber mit durchaus sehr ernsten Themen: Fake News – ein Problem für die Juristen, ein Problem für die Medienethiker. Meiner Meinungsfreiheit generell ein Problem, Wie können Recht und Ethik zusammenkommen, bei diesen Themen? Ergänzen die sich, widersprechen die sich?

Gespräch Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmepper und Prof. Dr. Ernst Fricke
Im Gespräch: Der Journalistik-Professor und Medienethik-Experte Dr. Klaus-Dieter Altmeppen und Prof. Dr. Ernst Fricke, Professor für Medienrecht und Gerichtsberichterstattung

Ernst Fricke (EF): Also, die Antwort ist in jedem Fall: Sie ergänzen sich und beide Seiten sind notwendig. Die Juristen arbeiten ja mit auslegungsbedürftigen, so genannten unbestimmten Rechtsbegriffen und der Inhalt ist dann von der Ethik zu erläutern, zu erklären und deshalb gibt es dann in Gerichtsentscheidungen auch nicht selten Formulierungen, auf die Juristen nur kommen, wenn sie Hilfswissenschaften, zum Beispiel die Ethik, Medienethik mit benutzen. Also die Ethik ist ein wichtiger Teil dieses Miteinanders um Fake News, um Hassmails zu verhindern. Erstmals zu erkennen und dann legitim zu verhindern.

KA: Nun muss ich zur Ehrenrettung der Medienethiker sagen: Hilfswissenschaften! Das ist mit Sicherheit etwas, wozu viele Medienethiker sagen: Nein wir sind eine gleichberechtigte Wissenschaft. Weil es halt Rechtsräume gibt und Themen, bei denen die Medienethik stärker greift. „Fake News“ zum Beispiel ist primär die Frage der Verantwortung. Inwiefern trägt der Einzelne Verantwortung für das, was er öffentlich von sich gibt. Inwiefern trägt eine Organisation wie eine Redaktion die Verantwortung für das, was gesprochen wird. Können wir Fake News überhaupt erkennen, um sie juristisch in den Griff zu bekommen?

EF: Also deshalb würde ich nur nochmals den Begriff der Hilfswissenschaften erläutern. Es gibt inzwischen Verfahren, wo es um Auslegung von Texten geht. Erdogan – Böhmermann. Und die Gerichte, die damit sich auseinandergesetzt haben, haben alle nur mit juristischen Kategorien gearbeitet und haben den Begriff der Satire nicht mit den möglichen Erkenntnissen der Hilfswissenschaften durchdekliniert. Und zwar ist mir dabei folgendes aufgefallen: Es gibt einen bahnbrechenden Artikel einer Professorin, selbst Juristin, die mit Sprachwissenschaftlern, mit Linguisten, mit Medienwissenschaftlern, dieses Problem aufgearbeitet und untersucht hat. Also juristische Kategorien waren nicht in der Lage, abschließend zu sagen, es ist Satire. Sondern man brauchte die Sprachwissenschaften, man brauchte auch die Medienwissenschaften um bei der Böhmermann-Satire das Spiel, eingespielter kurzer Film von Erdogan – Böhmermann-Gedicht als Bezug – und die sprachwissenschaftliche Analyse: Eingespielter Film, Böhmermanns Text und die Linguistik. Das war für mich ein ganz großer Erkenntnisgewinn. Ich bin ja groß geworden als Student, der 68 begonnen hat, dass Jura eine absolute Wissenschaft ist. Heute weiß man, dass Jura ohne die Vielzahl der anderen Disziplinen in der Wissenschaftswelt gar nichts ist. Und deshalb auch im Medienrecht sind die anderen Disziplinen mittlerweile von großer Bedeutung.

Themengebiet: Fake News & Netzwerkdurchleitungsgesetz

KA: Das ist auch das Ergänzende darin, denke ich. Wenn wir uns die Fake News jetzt mal etwas genauer anschauen: Aus der Sicht des Medienethikers: Wenn ich mir die Definition von Fake News anschaue. Von Informationen, die unbewusst von mir weitergegeben worden sind, die aber falsch sind, bis hin zu gewollt falschen Informationen. Der amerikanische Präsident mit seinen falschen Informationen; das ist schnell zu identifizieren. Das ist vermutlich schwer rechtlich fest zu machen. Aber dann gibt es noch einen großen Graubereich wo ich als Ethiker schon das Problem habe zu sagen: Hat der Herr Fricke das jetzt bewusst so falsch gesagt oder hat er das nicht besser gewusst? Wenn ich als Ethiker schon das Problem habe, mit diesen diffusen Zonen, die ich dort habe, was sagt dann der Medienrechtler? Die G7 will jetzt gegen Fake News rechtlich vorgehen – macht das Sinn?

EF: Diese Frage stellen sich Juristen, weil es jetzt ja dieses Netzwerkdurchleitungsgesetz gibt. Dieses Gesetz gilt seit dem 01.01.2018 und ist von dem damaligen Justizminister, der auch der jetzige ist, sehr schnell noch am Ende der letzten Legislaturperiode zusammengeschustert worden. Und: Die Wissenschaft sagt, man muss versuchen juristisch die Definitionskategorien, die Sie gerade genannt haben, auch versuchen zu sammeln und zu beschreiben und damit auch zu sagen: Das geht noch und das geht nicht. Die Erfahrung von einem Kongress des Studienkreises „Presserecht und Pressefreiheit“, der „Löfflerkreis“, diejenigen, die sich mit solchen wichtigen Dingen beschäftigen, ist, dass das Gesetz Lücken hat. Dass das Gesetz Schwächen hat. Aber: Dass es ein Versuch ist, das Problem juristisch anzugehen und dann auch wieder mit Kategorien aus der Ethik, mit Kategorien auch der Beweislast-Problematik zu sagen: Das ist gerade noch verantwortbar, das nicht.
Und: Ich habe zur Vorbereitung unseres Gesprächs im Internet noch einmal nachgeguckt und habe nach Stimmen gesucht, Erfahrungsberichte, zu dem jetzt in Kraft gesetzten Gesetz und mir ist aufgefallen, dass vor allem die AfD ständig publiziert: „Zensur!“ und „Ungerecht!“ und „Kannst nicht!“ und „Darfst nicht!“ Und da habe ich mir gedacht, nachdem ich als Anwalt mit solchen Fällen auch zu tun habe und mitkriege, wie Menschen erklären, dass sie vollkommenen Schrott geschrieben haben, dass jetzt vor allem die AfD dagegen vorgeht, ist bemerkenswert. Und es gibt eine Klage der FDP gegen diese gesetzliche Umsetzung. Also offenbar sind diejenigen, die nur auf den Einzelnen abstellen und auf ihr Gedankengut abstellen, mit dem Gesetz sehr unzufrieden. Und das spricht für das Gesetz. Weil das Gesetz soll für alle gelten. Für die Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen und deshalb bin ich gespannt ob mithilfe dieses Gesetzes das Ziel wenigstens im Ansatz erreicht werden kann.

KA: Ist es denn eigentlich das richtige Ziel sich auf Fake News zu konzentrieren? Als Medienethiker weiß ich: Fake News ist kein Phänomen, das mit dem Internet aufgekommen ist, sondern Fake News haben wir schon sehr sehr lange. Die bewusste Täuschung, die unbewusste Täuschung bis hin zur Manipulation spielt in der öffentlichen Kommunikation schon eine jahrhundertelange Rolle und wir wissen aus vielen Beispielen in der Politik, dass damit auch große Politik gemacht worden ist. Von Bismarck bis hin zum amerikanischen Präsidenten. Sind Fake News, gerade auch weil sie so schwer zu fassen sind und auch ethisch schwer zu fassen sind, dann überhaupt der Angriffspunkt? Oder müsste man sich nicht viel eher damit beschäftigen, dass Fragen der Verantwortung in der Gesellschaft nicht hinreichend geklärt sind und dass man so etwas justiziabel machen müsste? Die Verantwortung von Managern beim Betrug. Die Verantwortung von Politikern bei der bewussten Täuschung?

EF: Da haben Sie natürlich mit Ihrer Analyse recht. Aber wenn man im Medienrecht mit so einem Phänomen zu tun hat, dann versucht man mit medienrechtlichen Kategorien und gesetzlichen Vorschriften für die Gesamtgesellschaft das zu regeln. Was früher vielleicht nicht so durchgeschlagen hat, ist, dass man durch Fake News übers Internet ganz schnell die Gesellschaft so manipulieren kann, dass es inzwischen ja sogar Untersuchungen gibt, sogar Wahlergebnisse damit verfälscht werden können.
Und mein 18-jähriger Sohn hat über den Trump eine Seminararbeit schreiben müssen und hat mich dann immer gefragt: „Papa, die Wissenschaft muss dazu doch was wissen!“ Dann habe ich nachgeguckt, in den Publikationen, die ich auch Ihnen zu verdanken habe und da gibt es inzwischen Kongresse, wie man die Wahlwirklichkeit wiederherstellen kann, indem man Fake News, verantwortungslose Fake News, versucht wieder richtig zu stellen. Man muss sie ja nicht gleich verbieten, aber man muss etwas dagegensetzen, weil sonst meinen die Menschen, dass diese Fake News Grundlage für ihre Entscheidungen sein sollten und vielleicht auch häufig sind.

Themengebiet: Social Bots

KA: Als Medienethiker würde ich das voll unterstreichen und würde halt sagen, dass viele der Ressentiments, die wir heute feststellen müssen, gegen Flüchtlinge, gegen Minderheiten, gegen andere Staaten und Nationen genau darauf beruhen, dass Meinungen verfestigt werden, die nicht aus nachprüfbaren Fakten und Ereignissen bestehen. Wenn wir nochmals bei den Fake News bleiben und der Möglichkeit durch Social Bots durch Fake News auch zu verstärken, abzuschwächen, überhaupt in einen großen Umlauf zu bringen. Als Medienethiker ist meine Einstellung dazu, zu sagen, ich muss an die Verantwortung derjenigen heran, die das machen. Sowohl an die Verantwortung derjenigen, die die Programme herstellen, also sowas wie „Ethics by Design“: Dass schon der Programmierer, der Designer sich darüber Gedanken machen muss. Da wird mir dann häufig vorgeworfen, damit bremst du aber den technischen Fortschritt aus. Kann man darüber diskutieren. Das wäre so die eine Sache, bei Fake News.
Jetzt wird halt überlegt oder die Diskussion geht auf zwei Strängen so dahin: Social Bots als justiziabel und ethisch ansprechbar anzunehmen. Die andere Seite sagt nein, wir können, nur, wenn wir über ethische Maßstäbe sprechen, nur über Menschen sprechen. Als Ethiker habe ich dazu eine Meinung und sage, es ist tatsächlich so. Wie soll ich an einen Computer, ein Softwareprogramm eine ethische Anforderungen stellen. Sondern die stelle ich gegen die Menschen, die Interessen damit verbinden und Macht durchsetzen wollen. Was sagt der Jurist? Kann man Social Bots, Computerprogramme, justiziabel behandeln?

EF: Wenn Sie die Datenschutzgrundverordnung, die ganz neu ist, als Hilfsmittel heranziehen. Wenn der Einzelne schon verpflichtet wird, diese Kategorien einzuhalten, die Sie gerade genannt haben, dann muss das aber auch gesamtgesellschaftlich umgesetzt werden. Und ich habe wieder ein Beispiel aus einer anderen juristischen Disziplin: Wenn man betrunken Auto fährt, ist der Führerschein weg und man wird bestraft. Und parallel dazu wird man zur Schulung geschickt, wie man mit Alkohol umgeht, wie man mit Verantwortung umgeht um diese psychologisch-medizinische Untersuchung zu bestehen. Das heißt beide Wege gemeinsam führen zum Ziel. Weil die Strafe, oder jetzt das Verbot, auf das Medienrecht bezogen, alleine nicht ausreicht. Sondern die gesellschaftliche Verantwortung allen bewusst gemacht werden muss. Und deshalb finde ich es zum Beispiel ganz bemerkenswert, dass im Augenblick die öffentlich-rechtlichen darüber diskutieren ob es weniger Talkshows geben soll, weil man damit vielleicht die rechtsradikalen Gedanken und die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen zu stark wiederum präsentiert und die gesellschaftliche Verantwortung verlangen würde, dass man sie nicht noch größer macht, als sie ohnehin sind.

Themengebiet: Ist direkte Ausgrenzung Zensur?

KA: Wo wir bei diesem schwierigen Punkt wären, der ja auch diskutiert wird, gerade im Zusammenhang mit Rechtspopulismus, mit Rechtsextremen, auch mit der AfD: Ist Ausgrenzung, so wie es Frank Plasberg in seiner Talkshow „hart aber fair“ praktizieren will, wo Alexander Gauland nicht mehr auftreten darf, ist Ausgrenzung ein Mittel? Und wie gehe ich um, mit dem sofort ertönenden Gegenvorwurf, das ist aber dann Zensur?
Als Ethiker eine Dilemma-Situation aus der rauszukommen ganz schwierig ist, vor allem wenn ich sagen will, ich möchte mich ethisch nicht auf das Niveau der AfD herunterlassen nur durch Provokation, Fake News und so weiter zu argumentieren. Da habe ich einen schweren Stand. Als Ethiker also eine Dilemma-Situation. Für Juristen eine klare Aussage: Das ist Zensur, das ist keine Zensur, betrifft es die Meinungsfreiheit oder ist das ein ganz anderer Rechtsbereich?

EF: Im Rahmen der Kommunikationsfreiheit muss man auch einem AfDler gestehen seine Meinung in irgendwelchen Talkshows zu sagen. Ich glaube, dass die Folge von dem Herrn Plasberg seine Entscheidung sein wird, dass die AfD gegen ihn klagt, wegen Diskriminierung und wettbewerbsrechtlichen Verletzungen. So etwas gab es ja schon bei diesen Wahlwerbesendungen: Wer darf im Fernsehen zur Bundestagswahl auftreten und diskutieren? Und da sind die Entscheidungen der Gerichte eigentlich sehr eindeutig. Alle haben das Recht, aber man kann auch den Fernsehmachern zugestehen ein Format zu entwickeln: Kanzler und Kanzlerkandidat. Aber dann auch alle Parteivorsitzenden. Und wenn Sie die Rechtsprechung angucken zu den Verboten von öffentlich-rechtlichen Stellen, für Veranstaltungen der AfD in die Rechtsprechung überträgt, dann hätte die AfD eine ganz gute Chance da eine Klage gegen Plasberg mit Erfolg zu führen.

Themengebiet: Empfehlungen zu Fake News

KA: Keine schönen Aussichten. Lassen Sie uns zum Schluss vielleicht noch kurz aus der Sicht des Ethikers, aus der Sicht des Juristen sagen, was wäre der Rat im Hinblick auf Fake News an eine Redaktion?
Also als Ethiker würde ich sagen: Wenn Ihr von Eurem Medienunternehmen abverlangen könnt, dass ihr einen qualitativen Journalismus macht. Qualitativ-professionell recherchiert, Fakten abgesichert, dann würde das für mich als Ethiker zunächst Mal ein guter Ausweis sein, zu sagen, das hilft gegen Fake News. Das hilft nicht, sie zu verhindern, aber das hilft, dagegen. Und angesichts der Millionen von Fake News, die in der Welt herumschwirren, kann man das sowieso nicht verhindern.
Was wäre der Rat des Juristen, des Medienrechtlers an die Redaktion?

EF: Also ich glaube, dass die Redaktionen sich dieser Aufgabe bewusst sind. Und es ist, finde ich, eine große Verantwortung und hat etwas zu tun mit eigenen Wertkategorien, mit Verantwortungsbewusstsein und ich finde auch, dass die Redaktionen das im Großen und Ganzen hervorragend hinbekommen.
Allerdings gibt es diese grenzwertigen Vorkommnisse. Wenn man also über Fake News Kategorien entwickelt, die gesamtgesellschaftlich unerträglich sind, dann hat man, nach dem Netzwerkdurchleitungsgesetz die Möglichkeit, die für das Netz Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen, dass die ihre Verantwortung zusätzlich wahrnehmen.
Also beide Wege führen wieder zum Ziel. Und es ist eine große Aufgabe, das ist eine unglaubliche Herausforderung, aber deshalb werden ja auch Journalisten in Eichstätt ausgebildet, mit verantwortungsvollen Kategorien ausgebildet, um sich früh dieser Verantwortung bewusst zu werden und nicht erst, wenn sie einmal Chefredakteur irgendwo sind.