Rechtsanwalt Prof. Dr. Ernst Fricke, stand dem Redakteur Glenn Galea von heute.de mit einer rechtlichen Einschätzung zum Tarifstreit zwischen der Deutschen Bahn und der GDL Rede und Antwort. "Die Parteien sollten wieder auf Augenhöhe verhandeln - und nicht darauf pochen, wer im Recht ist.", so Prof. Fricke in seinem Statement.

GDL-Streik

heute.de: Die GDL lässt das Ende des derzeitigen Ausstands offen. Ist es damit ein "unbefristeter" Streik und damit womöglich unverhältnismäßig? Oder hat GDL-Chef Claus Weselsky mit dem Begriff "offener" Streik schon genug getan, um ein mögliches Streikverbot zu umgehen?

Ernst Fricke: Ein Streik darf nicht gegen das "Prinzip der Verhältnismäßigkeit" und eine "faire Kampfführung" verstoßen. Die von der Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelten Anforderungen an einen rechtmäßigen Streik werden bislang erfüllt. Selbst die Wahl des Zeitpunkts der "Pfingstferien" verstößt nicht gegen diese verfassungsrechtlich garantierten Prinzipien.

heute.de: Kann die Deutsche Bahn eine Verhandlung über parallele Tarifverträge ablehnen?

Fricke: Das Grundgesetz garantiert in Artikel 9 III GG den Streik als legales Arbeitskampfmittel. Ohne das Druckmittel des Streiks kann auch die Freiheit der Tarifpartner zum Abschluss von Tarifverträgen im Rahmen der Tarifautonomie nicht wirksam gelebt werden.

Der Vorwurf der Lokführergewerkschaft, dass die Bahn versuche, den Tarifabschluss bis zum Inkrafttreten des sog. "Tarifeinheitsgesetzes" zu verschleppen, ist wohl dem medialen Meinungskampf der Tarifvertragsparteien geschuldet. Nach dem voraussichtlich erst Anfang Juli 2015 in Kraft tretenden "Tarifeinheitsgesetz", dem zufolge künftig in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der jeweils größten Gewerkschaft gelten soll, ist selbst dies unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sehr umstritten und wird die nächsten Jahre die Arbeitsgerichtsbarkeit und auch die Wissenschaft beschäftigen. Darauf kann die Bahn weder bauen, noch kann die Gewerkschaft ihren Streik so lange durchhalten. Eher noch könnte die Bahn darauf warten, dass die Gewerkschaftskassen sich leeren.

heute.de: Ist es nach heutiger Rechtslage möglich, dass einer der Parteien gegen die andere vor Gericht zieht, um sich durchzusetzen?

Fricke: Nein, nach heutiger Rechtslage verhalten sich beide Parteien rechtmäßig. Die Deutsche Bahn formuliert das Scheitern der Verhandlungen sehr geschickt, sodass die Tarifeinheit dabei nicht angesprochen wird.

heute.de: Wäre eine Zwangsschlichtung eine mögliche Lösung?

Fricke: Die Zwangsschlichtung ist ein Lösungsangebot, das bisweilen in anderen Bereichen durchaus schon Erfolg hatte. Da aber in Deutschland die Tarifautonomie gilt und die Parteien damit das Recht haben, Tarifverträge frei von staatlichen Eingriffen abzuschließen, müssten beide Seiten mit einer Zwangsschlichtung einverstanden sein, damit diese in Kraft tritt - und das wird so nicht passieren.

heute.de: Wer hat aus Ihrer Sicht das Recht auf seiner Seite - die Deutsche Bahn oder die GDL?

Fricke: Es geht hier nicht um das "Recht haben" der Kontrahenten. Tarifverträge verlangen im Aushandlungsprozess einen fairen Interessenausgleich auf beiden Seiten. Die Parteien werden wieder verhandeln müssen und zwar auf Augenhöhe. Dann findet sich auch für beide Seiten eine akzeptable Lösung. Nichts anderes bezweckt das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland enthaltene und bewährte Streikrecht in Artikel 9 III GG. Politisch kann man die unterschiedlichen Positionen der Streikparteien unterschiedlich bewerten. Das hat aber nichts mit "Recht haben und Recht bekommen" zu tun.

Das Interview führte Glenn Galea

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